Grenzgänger in der Schweiz: Sozialversicherung, Arbeitsrecht & Steuern
In unserer international vernetzten Arbeitswelt ist das Thema «Global Mobility» nicht mehr aus dem HR-Alltag wegzudenken. Unternehmen agieren grenzüberschreitend, Talente werden international rekrutiert und viele Fachkräfte pendeln regelmässig zwischen verschiedenen Ländern. Grenzgängerinnen und Grenzgänger stellen nicht nur die Arbeitsorganisation, sondern auch die HR-Fachkräfte vor vielfältige Herausforderungen – insbesondere bei Fragen zu Arbeitsrecht, Arbeitsbewilligungen, Steuern und Sozialversicherungen. Genau diesem Thema widmen wir uns in diesem Beitrag.
Grenzgänger aus dem EU/EFTA Raum in der Schweiz
Die anwendbaren Bestimmungen für Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus dem EU-/EFTA-Raum finden sich in den Sozialversicherungs- und Doppelbesteuerungsabkommen, der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie im anwendbaren Arbeitsrecht.
Wir unterscheiden zwischen echten und unechten Grenzgängerinnen und Grenzgängern sowie zwischen internationalen Wochenaufenthalterinnen und - aufenthaltern.
Definition echte Grenzgängerinnen und Grenzgänger
Echte Grenzgängerinnen und Grenzgänger sind Personen, die ihren Wohnsitz im EU-/EFTA-Ausland haben, jedoch in der Schweiz arbeiten und grundsätzlich täglich – oder zumindest regelmässig – an ihren ausländischen Wohnort zurückkehren.
Voraussetzung ist, dass die Rückkehr zum Wohnsitz im Ausland tatsächlich zumutbar und praktikabel ist. Diese Konstellation ist typisch für Berufspendlerinnen und -pendler, die beispielsweise im grenznahen Deutschland, Frankreich, Italien oder Österreich leben und in der Schweiz einer Beschäftigung nachgehen.
Definition unechte Grenzgängerinnen und Grenzgänger
Unechte Grenzgängerinnen und Grenzgänger kehren im Gegensatz zu den «echten» nicht regelmässig an ihren Wohnsitz im Ausland zurück, sondern halten sich während der Arbeitswoche meist in der Schweiz auf. Eine tägliche Rückkehr an den ausländischen Wohnort wäre grundsätzlich zumutbar. Sie nutzen eine Zweitwohnung oder temporäre Unterkunft in der Nähe des Arbeitsortes. Der Lebensmittelpunkt bleibt jedoch im Ausland bestehen.
Definition Internationaler Wochenaufenthalter und -aufenthalterinnen
Diese Personen arbeiten unter der Woche in der Schweiz für einen Schweizer Arbeitgebenden. Ihr Lebensmittelpunkt ist nach wie vor im Ausland. Sie kehren in der Regel am Wochenende an ihren Hauptwohnsitz im Ausland zurück und eine tägliche Rückkehr wäre nicht zumutbar.
Relevante Rechtsgebiete bei grenzübergreifenden Arbeitsverhältnissen in der Schweiz
Arbeitsrecht: Im Arbeitsvertrag festzulegen
Es ist empfehlenswert, im Arbeitsvertrag das geltende Arbeitsrecht festzulegen. Ohne klare Angabe kann bei Arbeit im Ausland die Anwendbarkeit des Schweizer Arbeitsrechts unsicher sein. Ist jedoch Schweizer Recht vereinbart, gilt dies auch für Grenzgängerinnen und Grenzgäänger, selbst bei Homeoffice im Wohnsitzstaat.
Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungsrecht: Voraussetzung für Erwerbstätigkeit
Um als Grenzgängerin oder Grenzgänger in der Schweiz zu arbeiten, wird eine Grenzgänger-Bewilligung EU/EFTA benötigt. Diese muss die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber bei den kantonalen Behörden mit Arbeitsvertrag und Ausweis beantragen. Für Beschäftigungen unter drei Monaten gilt das Online-Meldeverfahren.
Sozialversicherungsrecht: das gilt für Grenzgängerinnen und Grenzgänger bei der Sozialversicherung
Grundsätzlich sind Grenzgänger im Beschäftigungsstaat sozialversichert. Zur Sozialversicherung gehören in der Regel: Krankenversicherung, Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung, berufliche Vorsorge, Erwerbsersatz, Mutter-/Vaterschaft und Familienleistungen.
Wer weniger als 25 Prozent im Wohnstaat erwerbstätig ist, wird den Rechtsvorschriften des Staates unterstellt, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.
Nachfolgend sind die Bestimmungen von Sozialversicherungen für Grenzgänger kurz zusammengefasst:
- Der Beschäftigte ist nur einem einzigen Sozialversicherungssystem unterstellt, in der Regel dem System des Staates, in dem er arbeitet (Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004, Art. 11 Abs. 1).
- Grenzgänger, die in der Schweiz arbeiten und einen wesentlichen Teil (25 Prozent oder mehr) ihrer Arbeit im Wohnsitzland in der EU/EFTA leisten, müssen im Sozialversicherungssystem dieses Landes angemeldet sein und nicht bei den Schweizer Sozialversicherungen (Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004, Art. 13).
- Der Anteil von 25 Prozent wird in der Regel im Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit bestimmt.
- Die Berechnung erfolgt auf der Grundlage der zu erwartenden Situation für die kommenden 12 Monate.
Wenn sich ein Arbeitnehmer in einer Situation befindet, in der die Voraussetzungen für die Unterstellung unter die Schweizer Sozialversicherungen nicht oder nicht mehr erfüllt sind, muss der Schweizer Arbeitgeber die Sozialbeiträge an die zuständige Stelle im Ausland abführen. Das beinhaltet einen zusätzlichen administrativen Aufwand sowie oft die Mandatierung eines Treuhänders im entsprechenden Wohnland. Die Sozialbeiträge können im Ausland höher sein als in der Schweiz.
Eine Unterstellung im falschen Beschäftigungsstaat kann erhebliche Folgen für das Unternehmen und den Beschäftigten haben, insbesondere im Leistungsfall. Deshalb sollte bei Sozialversicherungen in der Schweiz für Grenzgänger aus Deutschland, Österreich und dem restlichen EU/EFTA Raum besonders darauf geachtet werden.
Falls wir Sie dabei unterstützen können, melden Sie sich jederzeit bei uns.
Steuerrecht: Besonderheiten für Grenzgängerinnen und Grenzgänger
Die Konsultation des Doppelbesteuerungsabkommens des involvierten Landes ist zwingend notwendig. Die in den Doppelbesteuerungsabkommen geregelte Besonderheiten stellen sicher, dass das Einkommen nicht doppelt besteuert wird und die Abgabenlast gerecht verteilt ist.
Nach dem speziellen Grenzgängerabkommen DBA-GRE F/CH werden Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die in Frankreich wohnen und in einem der Abkommens-Kantone Bern, Solothurn, Basel- Stadt, Basel-Landschaft, Waadt, Wallis, Neuenburg oder Jura der arbeiten, an ihrem Wohnsitz besteuert. Um nicht in der Schweiz an der Quelle besteuert zu werden, muss dem Arbeitgeber jährlich eine Ansässigkeitsbescheinigung von Frankreich vorgelegt werden.
Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus Deutschland werden bei Arbeit in der Schweiz pauschal 4.5 Prozent vom Bruttolohn einbehalten, sofern eine Ansässigkeitsbescheinigung des deutschen Wohnsitzfinanzamts (Formular Gre-1) vorliegt. Kann der oder dieArbeitnehmende im Kalenderjahr an mehr als 60 Arbeitstagen nicht an seinen Wohnsitz zurückkehren, wird die ordentliche Quellensteuer fällig. Für die Steuerbefreiung in Deutschland muss der Grenzgänger das Formular Gre-3 mit einer Bescheinigung des Arbeitgebers über die Nichtrückkehr vorlegen.
Für Grenzgänger aus Italien sieht das neue Abkommen vor, dass die Schweiz bei neu eintretenden Grenzgängern weiterhin 80 Prozent der üblichen Quellensteuer einbehält. Gleichzeitig werden diese Personen nun auch in Italien regulär besteuert, wobei eine Doppelbesteuerung vermieden wird. Als neue Grenzgänger gelten all jene, die ab dem 17. Juli 2023 erstmalig eine Arbeit in der Schweiz aufnehmen.
Mit dem Auslaufen der während der Pandemie eingeführten Sonderregelungen für die Besteuerung gibt es derzeit keine spezifische Steuerregelung bezüglich des Arbeitens im Homeoffice für Grenzgänger mit Wohnsitz in Österreich. Sämtliche am Wohnsitz erzielten Erwerbseinkünfte unterliegen der Besteuerung im Wohnsitzstaat.
Homeoffice bei grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen
Ab dem 1. Juli 2023 ermöglicht jedoch eine neue multilaterale Vereinbarung den Grenzgängerinnen und Grenzgängern in bestimmten Staaten, die Zuständigkeit für die Sozialversicherungen nicht wechseln zu müssen, wenn der Anteil der Telearbeit weniger als 50 Prozent der Gesamtarbeitszeit beträgt (siehe neue Vereinbarung). Die Liste der betroffenen Staaten und Erläuterungen zu den Bedingungen für die Anwendung der Vereinbarung finden Sie auf der Website des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV).
Fazit: Von Sozialversicherung bis Steuern – viele Details bei Arbeitsverhältnissen mit Grenzgängerinnen und Grenzgängern
Wie so oft liegt der Teufel im Detail. Die Beschäftigung von Grenzgängerinnen und Grenzgängern aus dem EU-/EFTA-Raum bringt zahlreiche rechtliche und administrative Herausforderungen mit sich. Eine sorgfältige Prüfung der jeweiligen Bestimmungen, die klare Regelung im Arbeitsvertrag sowie das frühzeitige Einbeziehen von Expertinnen und Experten sind entscheidend, um Risiken und zusätzliche Kosten zu vermeiden und ein reibungsloses grenzüberschreitendes Arbeitsverhältnis zu sichern.
Wir stehen Ihnen für Beratung und Unterstützung bei den jeweiligen Fachgebieten gerne zur Verfügung.